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Multiinfarktsyndrom

Was ist ein Multiinfarktsyndrom?

Sicher wissen Sie, was ein Schlaganfall ist. Der Bericht über einen solchen Vorfall endet meistens mit "tot", "halbseitig gelähmt", oder ähnlichen Beschreibungen. Es gibt eine "sanftere" Form davon, statt eines großen Vorfalls viele kleine Anfälle, die nach und nach das Gehirn außer Funktion setzen. Anfangs mag man es kaum bemerken, da ist dann jemand nur etwas wackelig auf den Beinen, oder verliert für ein paar Stunden die Fähigkeit, Sprache klar zu artikulieren. Mit der Zeit werden die Anfälle häufiger und schwerer, bis sie jeden dritten oder vierten Monat auftreten, und die Gehirnzellen im Laufe der Zeit niedermachen. Ein Gegenmittel gibt es nicht, man kann nur Wahrscheinlichkeit vermindern: Wie bei Herzinfarktgefährdeten wird schwach dosiertes Aspirin eingesetzt, um das Blut besser fließen zu lassen.

Noch hilfreicher für die Vermeidung von Anfällen ist ... Sport. Mich hat überrascht, wie sehr "mens sana in corpore sano" hier gilt, nach der Erläuterung eines Arztes beschloß ich aber, es für völlig logisch zu halten: Gestört wird bei den Anfällen die Blutzufuhr zum Gehirn. Ein leistungsfähigeres Herz-Kreislaufsystem erhöht deshalb die Chance, daß der Körper sich mit der Pumpleistung des Herzens selbst helfen kann. Theoretisch also völlig logisch. Praktisch ist es eine nicht völlig triviale Aufgabe, dafür zu sorgen, daß eine gehbehinderte 90-jährige genug Sport treibt.

So weit die Beschreibung. Falls Sie derlei jemals in der Realität erleben, könnte es sich folgendermaßen darstellen: Sie bringen eine fröhliche, Sie neckende alte Dame abends zu Bett, und haben (mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:100 oder schlechter) morgens ein lallendes Etwas vor sich, dem Sie erklären müssen, daß man zum Zwecke des Gehens zuerst den rechten, dann den linken Fuß bewegt.

Danach ereignet sich dann etwas, das manche für ein Wunder halten werden, weniger Gläubigen dagegen einen hohen Respekt vor den Leistungen der Natur abnötigt: Ein solcherart zerstörtes Gehirn kann sich weitgehend reparieren, wenn es genug Anregung erfährt. Zwei Monate später haben Sie vielleicht wieder eine fröhliche alte Dame vor sich. Zuerst kommen die ganz alten Erinnerungen und Fertigkeiten wieder, dann kommt der allmähliche Aufstieg zur Gegenwart. Ich versuche mir das so zu erklären, daß beim Ersatz zerstörter Gehirnzellen durch unbenutzte ein uralter Speicherinhalt mitverknüpft wird, weiß aber nicht, ob das so richtig ist.

Bei mehreren Anfällen pro Jahr stellt sich allerdings mit der Zeit heraus, daß es Wunder eben doch nicht gibt. Jedesmal gehen Gehirnzellen verloren, was den Zyklus von Anfall und Erholung mit einer Generaltendenz überlagert. Viele ärzte nennen es deshalb nicht Multiinfarktsyndrom, sondern Multiinfarktdemenz. Während jeder Anfall anschließend die gleiche Kraft benötigt, um eine Erholung herbeizuführen, fällt das Ergebnis jedesmal ein wenig trauriger aus. Es ist daher unvermeidbar, daß der Ablauf eine gewisse entmutigende Kraft entwickelt.